Feuerlauf, Herbst 2015
„Nein, da bin ich ganz die Falsche und überhaupt, warum sollte ich so etwas tun?“ entgegnete meine Freundin mit verständnisloser Miene, als ich sie überzeugen wollte, mich zum Feuerlauf in einem kleinen Tiroler Dörfchen, etwas abgelegen, auf einer kleinen Anhöhe zu begleiten. Ganz bestimmt würde es großen Spaß machen, versicherte ich ihr, obschon ich zugegeben selber nicht wusste, was mich erwarten würde, worauf ich mich eingelassen hatte und, weshalb ich gemeinsam mit einer Handvoll ‚Fremder‘ ein Feuer legen wollte, um barfuß über die heißen Kohlen zu laufen …
Dass wir an diesem frühherbstlichen, sonnig, heiteren Nachmittag auf dem Hundsbichl, so der Name der beschaulichen Anhöhe nahe der Waldgrenze in Erpfendorf, gemeinsam mit unserem zertifizierten Feuerlauftrainer und Grenzgänger, Dieter Niedermair und seiner sympathischen Frau Petra, nicht nur physikalische Gesetze außer Kraft setzen würden, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Dass flackerndes Feuer und lodernde Kohle heiß, Glasscherben scharf, Sportpfeile spitz, Bretter und Dachziegel stabil sind, daran zweifle ich auch heute nicht. Dennoch aber gelang es unserer kleinen, heterogenen Gruppe, bestehend aus vier Teilnehmer/innen, unterschiedlichen Alters und Distinktion, allesamt fest im Leben stehend, mit ihren ganz eigenen Geschichten, sich darin zu üben, für diesen ganz besonderen Anlass einmal „ganz im Jetzt zu sein“. Und obwohl „niemand musste“, haben wir Bretter und Dachziegel mit unseren Händen zertrümmert, Pfeile mit unseren Hälsen zerbrochen, sind über Glasscherben gegangen, die, wie Petra versicherte, ganz bestimmt nicht vorher in der Waschmaschine stumpf gewaschen wurden.
Das Ganze klingt jetzt ziemlich martialisch, dabei war das gesamte Rahmenprogramm aber eher meditativ angelegt, mit Didgeridoo-Klängen, gemeinschaftlichen Besinnungsübungen, einem vier Punkte Mentalprogramm und der Möglichkeit sich auszutauschen, auch abseits der Kaffeepausen mit selbstgemachtem, veganem Kuchen, und sollte uns auf das Bevorstehende, nämlich barfuß über die glühende Kohle zu laufen vorbereiten. Beim Feuerlauf geht es nämlich nicht um einen archaischen Akt der Selbsterhöhung, sondern: „Ein Feuerlauf ist ein Schritt auf dem Pfad der Selbstentdeckung. Alte Glaubensmuster und bisherige Grenzen werden überwunden, was zu mehr Selbstvertrauen, persönlichem Wachstum, Eigenverantwortung und innerer Heilung führt.“ (Auszug aus der Arbeitsmappe)
Sowie der Nachmittag darauf ausgelegt war unsere Individualität in der Gruppe zu leben, begannen wir ebenfalls gemeinschaftlich, jeder nach seinen Möglichkeiten, mit dem hereinbrechenden Abend die Vorbereitungen für den Feuerlauf zu treffen. Wir zerrten, schleppten und hievten ca. 1,5 Meter lange Holzscheite zur Feuerstelle, stapelten sie und stopften die Lücken mit zerknülltem Zeitungspapier und Anzündern. Die Luft war schon lange kalt geworden und alle trugen ihre Jacken und Wollmützen. Als der Haufen schließlich zu brennen begann und beachtliche Feuerzungen in den Himmel warf, versammelten wir uns, mit teils gebannten Blicken, teils andächtigen Gesichtern, um das Feuer. Einige von uns hatten kleine Zettel mit Botschaften darauf und warfen diese ins Feuer. Nachdem der Stapel heruntergebrannt war, verteilte Dieter die heiße Kohle auf dem Boden und strich sie zu einem etwa zwei Meter langen Teppich aus.
Jetzt waren wir an der Reihe! Mit hochgekrempelten Hosenbeinen umkreisten wir gemeinsam mit Dieter unzählige Male den Feuerteppich, bis er durch Zuruf den Teppich freigab. Es roch nach feuchter Erde und das grüne Gras bohrte sich dort, wo wir gegangen waren, tief in den kühlen Herbstboden. Meine Fußsohlen fühlten sich kalt an, meine rechte Körperhälfte wohlig warm, durch die emporsteigende Hitze der lodernden Kohle.
Gebannt wartete ich auf den Moment, an dem die athletische Lena, eine, wie ich tagsüber festgestellt hatte, wagemutige Frau Mitte dreißig, mit ansteckendem Lächeln, den Feuerlauf eröffnete – dass sie beginnen würde, wurde im Vorhinein abgemacht.
„Unfassbar! Sie hat es echt getan!“ dachte ich bei mir. Während Petra damit beschäftigt war, im richtigen Moment den Auslöser der Kamera zu drücken und ich noch innerlich mit mir haderte, zog es mich immer näher an den Rand des Teppichs, bis ich einfach tat, wozu ich gekommen war. „Ja! Es war heiß, besonders gegen Ende des Teppichs hin, weshalb ich mein Schritttempo auch erhöhte. Und es war aufregend. Danach ist man ziemlich euphorisch.“
Was ich die ganze Zeit über nicht bedacht hatte, war, welche Gangart man eigentlich wählen sollte. Sollte man wie ein Storch staksen, die Fußsohlen richtig aufsetzen oder Ferse bis Fußballen abrollen? Die anderen Teilnehmer zeigten sich auch hier sehr kreativ; von eher hastigem Schritt bis hin zu gemächlichem Gang und elegantem Schreiten bzw. wie Dieter, der einen energisch-beherzt gegrätschten Sprung in die Kohle wagte, sodass die Glut unter seinen Füßen zur Seite wich und Feuerfunken in den nächtlichen Himmel stiegen, war fast alles dabei. Auch Marlene, die sich ganz zuletzt doch noch überwinden konnte, mit der Erklärung, dass sie es wohl bereut hätte, hätte sie es nicht getan, überstand den Feuerlauf, wie alle anderen, unverletzt und unbeschadet. Beschlossen haben wir den Abend mit einem kühlen Bier und angeregt heiteren Gesprächen über unser Tun.
Zuletzt bleibt zu sagen: Dieter und Petra haben uns dabei umsichtig an der Hand genommen, sind uns mit praktischen Tipps und kleinen Ritualen zur Seite gestanden und haben uns durch einen wunderbar gestalteten Tag geführt. Ich denke, im Namen aller Teilnehmer/innen sprechen zu dürfen, wenn ich sage, dass wir an diesem Tag alle über unsere Grenzen hinausblicken- und gehen durften, ohne dabei gestoßen worden zu sein!
Danke, lieber Dieter, liebe Petra!
Katrin, 2016